Kopfküche: Nahrung für unser Gehirn

Dr. med. Michael Nehls ist als Alzheimer-Experte bekannt. Er forscht seit Jahren über die Krankheit des Vergessens und hat viele Ratgeber darüber geschrieben. Seine Erkenntnisse sind in Fachkreisen umstritten: zu verallgemeinernd und voll leerer Versprechen sollen sie sein. Trotzdem gibt es auch Studien, die seine Thesen untermauern. In seinem neuen Buch widmet er sich deshalb wieder dem Thema Alzheimer. „Kopfküche“ ist eine Art Ernährungshandbuch. Folgt man den Rezepten und Vorschlägen darin, soll die Wahrscheinlichkeit an Alzheimer zu erkranken stark verringert werden. Für uns hat Michael Nehls seine Ideen dahinter noch einmal erläutert:

Michael Nehls: Kopfküche Buchcover Alzheimer ErnährungsratgeberÄRZTE.DE: Alzheimer ist für Sie keine Krankheit des Alters. Was steckt stattdessen dahinter?

Michael Nehls: Mit dieser Erkenntnis stehe ich mittlerweile nicht mehr alleine da, glücklicherweise sind inzwischen immer mehr Experten davon überzeugt, dass es sich bei Alzheimer um eine vermeidbare Krankheit handelt. Ursache ist nicht das Alter, sondern nur die Art und Weise, wie wir älter werden. Das bedeutet aber auch, dass wir dieser Krankheit nicht schicksalhaft ausgeliefert sind.

Eine Abkehr von dem Dogma der Unvermeidbarkeit ist von größter medizinischer Bedeutung, denn nun werden endlich die wahren Ursachen angesprochen und können so vermieden werden. Alzheimer ist dabei nur eine von vielen Krankheiten, die eine Folge unserer heutigen Lebensweise sein können. Ob unser Leben aufgrund von Alzheimer oder einer anderen Zivilisationskrankheit endet, hängt von der Kombination der jeweiligen lebensstilbedingten Defizite ab, und davon, wie unser individuelles Erbgut auf diese reagiert.

Beispielsweise erhöht die Variante 4 des ApoE-Gens das Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Allerdings haben Träger dieser Variante die Chance auf eine bessere geistige Leistungsfähigkeit als Träger anderer Varianten, wenn sie "artgerecht" leben. In der Frühphase der Erkrankung profitieren sie sogar mehr als andere, wenn sie lebensstilbedingte Risiken vermeiden.

Das bedeutet: Wir können unsere genetische Ausstattung nicht ändern, aber unsere Lebensweise, und damit auch unser vermeintliches Schicksal, an Alzheimer zu erkranken.

ÄRZTE.DE: Welche Rolle spielt dabei der Hippocampus?

Michael Nehls: Alzheimer beginnt im Hippocampus, der Erinnerungszentrale unseres Gehirns. Sein Schrumpfen im Laufe des Lebens ist als kausaler Risikofaktor anerkannt. Allerdings ist dieses Schrumpfen unnatürlich. Es beruht auf den angesprochenen Defiziten, die das Nutzen seines natürlichen Wachstums- und Regenerationspotenzials behindern. Inzwischen ist es wissenschaftlich eindeutig belegt, dass der Hippocampus lebenslang tagtäglich tausend neue Erinnerungszellen bilden kann, und auch, dass unser Gehirn (und damit auch der Hippocampus) seine Nervenzellen bis ins höchste Alter verjüngen kann. Für letztere Erkenntnis gab es kürzlich den Medizin-Nobelpreis.

Allerdings findet sowohl das vor Alzheimer schützende Hippocampus-Wachstum als auch die Verjüngung der schon existierenden Nervenzellen nur unter den Bedingungen einer gehirngesunden Lebensweise statt. Wird diese von hirnschädlich zu hirngesund geändert, ist in der Frühphase von Alzheimer, wenn die Erkrankung noch weitgehend auf den Hippocampus beschränkt ist, sogar noch eine kausale Therapie möglich. Für Ärzte und Therapeuten habe ich deshalb einen entsprechenden Therapieleitfaden und viele weiter nützliche Dokumente zusammengestellt, sodass sie diesen Ansatz ihren Patienten anbieten können.    

ÄRZTE.DE: Wie sieht eine gehirngesunde Lebensweise aus?

Michael Nehls: Die Evolution des menschlichen Geistes vollzog sich nach neuesten Erkenntnissen unter den Bedingungen des Fischers und Sammlers. An diese über mehrere tausend Generationen währende Periode der Menschheitsgeschichte ist unser Erbgut angepasst. Eine art- und damit gehirngerechte Lebensweise lässt sich daraus leicht ableiten. Sie führt auch zur höchsten Lebenserwartung bei zugleich geringster Wahrscheinlichkeit, an einer der oben genannten "Volkskrankheiten" zu erkranken. Anders gesagt, wer gehirngesund lebt, tut auch etwas für alle anderen Organsysteme.

Aber vor allem fördert eine hirngesunde Ernährung das Wachstum des Hippocampus. Unter diesem Primärziel habe ich die wissenschaftliche Datenlage untersucht. Die Ernährung, die das Wachstum und die Regeneration optimal fördert, ist demnach die eines altsteinzeitlichen Fischers und Sammlers. Heute bezeichnet man sie weitestgehend als pescetarisch: Sie ist reich an aquatischen Omega-3-Fettsäuren (eine Alternative zu Fisch stellt deshalb auch veganes Algenöl dar), wenig Fleisch und Omega-6-reiche Öle. Mit ihr ist es möglich, ein ausgeglichenes Omega-3/Omega-6-Verhältnis zu erreichen. Eine solche Ernährung hat eine hohe Vitalstoffdichte durch reichlich Gemüse, Körner und Nüsse. Nächtliches Fasten (12+ Stunden) unterstützt durch die dabei einsetzende sogenannte Ketogenese die "Gehirnverjüngung".   

Ein wichtiger Punkt bei allen Wachstumsprozessen, und das gilt somit auch für den Hippocampus, ist das Gesetz des Minimums. Es besagt, dass kein Wachstum stattfinden kann, wenn nur ein essenzieller Faktor fehlt. Die "Kopfküche" ist deshalb darauf ausgelegt, dass kein ernährungsbedingter Mangel das Hippocampus-Wachstum gefährdet. Aber eine hirngesunde Ernährung alleine genügt nicht. Zu einer artgerechten Lebensweise gehören auch tagtägliche soziale und körperliche Aktivität, ausreichend Schlaf, sowie Sinn im Leben bis ins höchste Alter.

ÄRZTE.DE: In Ihrem Buch „Kopfküche“ finden sich viele Rezeptvorschläge. Wo kann ich weitere Inspiration finden, wenn ich meine Ernährung umstellen möchte?

Michael Nehls: In der "Kopfküche" geht es mir vor allem darum, dass Menschen die Angst vor Alzheimer genommen wird und Sie erkennen, dass eine hirngesunde Ernährung sehr schmackhaft ist. Ausgehend von darin gemachten Erfahrungen kann der Leser beginnen, ungesunde, hirnschädliche Zutaten auch in seinen bisherigen Leibspeisen durch hirngesunde zu ersetzen.

Um diese Transformationen zu erleichtern, wird im April 2018 im Heyne-Verlag mein Buch "Die Formel gegen Alzheimer" erscheinen. Darin liefere ich weitere Rezepte, allerdings in Form von tatsächlichen Transformationen, sodass Leser leicht lernen, wie sie dies auf ihre eigenen Rezepte anwenden können.  

ÄRZTE.DE: Was raten Sie Lesern, die Ihre Ernährung umstellen möchten?

Michael Nehls: Vor allem Offenheit gegenüber neuen Gedanken ─ und Geduld.

Offenheit, weil man akzeptieren muss, dass vieles, was man in gutem Glauben bisher zu sich nahm, auf Dauer der Gesundheit schadet. Leider ist die Lebensmittelindustrie zu oft nur an der Umsatzrendite und nicht an der langfristigen Gesundheit ihrer Konsumenten interessiert. Das sollte allerdings niemanden überraschen.

Und Geduld, weil Geschmack nicht angeboren, sondern nur anerzogen ist und damit reine Gewohnheit, die sich ändern lässt. Aber das benötigt Zeit. Früher trank ich zum Beispiel meinen Kaffee mit viel Zucker. Inzwischen trinke ich ihn nur noch ungesüßt und kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich früher einmal einen anderen Geschmack hatte.

Wer also offen ist und geduldig, wird sich sehr bald hirngesünder ernähren ─ und die positiven Effekte spüren: Mehr geistige Leistungskraft, mehr Freude am Leben und an neuen Erfahrungen.  

Das Fazit von ÄRZTE.DE zu „Kopfküche“

Michael Nehls glaubt, ein Mittel gegen Alzheimer gefunden zu haben: die hirngesunde, „artgerechte“ Lebensweise. Er argumentiert damit, dass unser Gehirn sich seit der Steinzeit nicht mehr groß verändert hat. Wir sollen unsere Lebensweise also an die Erkenntnisse der Wissenschaft aus dieser Zeit anpassen. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man bedenkt, dass sie in Europa vermutlich etwa 4.200 Jahre zurückliegt. Können wir wirklich wissen, wie die Menschen damals gelebt und was sie gegessen haben? Zudem zweifeln viele Experten an den Schlussfolgerungen von Dr. med. Michael Nehls. Sie warnen davor, sich alleine durch die empfohlene Lebensweise vor Alzheimer sicher zu fühlen.

Trotzdem: Ein gesunder Lebensstil mit guter Ernährung und viel Bewegung kann den Krankheitsverlauf hinauszögern. Darin sind sich die Wissenschaftler einig. Möchten Sie Ihre Ernährung umstellen, könnte „Kopfküche“ dafür viel Inspiration bieten. Welche Ernährungsweise von den vielen Angeboten auf dem Markt die richtige für Sie ist, müssen Sie allerdings selbst herausfinden. Denn noch haben Ernährungswissenschaftler nicht die eine, alles heilende gefunden.

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